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Wir stellen Euch hier Bilder sowie Auszüge aus Berichten unserer Freund*innen zur Verfügung, die ihre Eindrücke teilen.

Remo, 24. März:
«(…) Kurz nach meiner Ankunft bin ich mit Mathias nach Mukatschewo gefahren, um Geflüchtete nach Nischnje Selischtsche in die Schule zu bringen. Leider konnte ich mich mit ihnen nicht unterhalten. Während der Fahrt hab ich dann plötzlich eine Katze miauen gehört. Miauen ist ein internationales Wort und mir wurde bestätigt, dass ich auch eine Katze transportiere. Als wir in der Schule angekommen sind, haben Mathias und ich das Gepäck ausgeladen. In einem Kinderrucksack hab ich dann die Katze entdeckt. Wie entscheiden sich die Geflüchteten, was auf der Flucht wichtig ist? Diese Gruppe kam aus der Region von Luhansk und war eine Woche unterwegs. Einige Erwachsene und viele Kinder mit ganz wenig Gepäck. Darunter die Katze. Was würde ich auf einer Flucht mitnehmen?

(…) Vor zwei Tagen war ich mit P. wieder in Mukatschewo. Dieses Mal sollten wir 11 Leute abholen. Da die Züge sehr unpünktlich sind, mussten wir länger warten. Wir setzten uns in ein Café und haben die Frühlingssonne genossen. Plötzlich gingen die Sirenen los, die vor Luftangriffen warnen. Auch die Züge, die am Bahnhof standen, haben die Hupen betätigt. Wir haben dann sicherheitshalber auf den Bahnhofsplatz geschaut. Niemand hat sich um den Alarm gekümmert, auch nicht die Soldaten, die dort standen. Wir sind dann weiter im Kaffee geblieben. Die Front ist sehr weit weg, die Gefahr von einem Raketeneinschlag wird als sehr gering eingeschätzt. Die Alarmierung betraf die ganze Westukraine. Alles beruhigend. Und trotzdem hat sich eine Enge in der Brust eingestellt. Plötzlich wird der Krieg spürbar. Soweit er auch weg sein mag, so nah kann er plötzlich sein.

(…) Oder dann eine ältere Frau, die wir nach Uschhorod gebracht haben, damit sie von dort aus den Bus Richtung Warschau nimmt. Eine Einkaufstasche war ihr ganzes Gepäck. Beim Abschied hat sie uns noch ihr ukrainisches Geld aufgezwungen, weil sie denkt, dass sie es nicht mehr braucht. Wenigstens nahm sie von uns dafür Euros an.

(…) Mit meiner wenigen Osteuropaerfahrung weiss ich, dass einige Gewissheiten aus dem Westen hier nicht so richtig funktionieren. Jetzt ist Krieg und ich weiss gar nichts mehr. Was ist richtig und was ist falsch? Gerade auch, wenn es um die Unterstützung der Armee geht. Ich habe aus Überzeugung keinen Militärdienst geleistet. In der Ukraine melden sich jetzt Linke, die jahrelange Friedensarbeit in der Ostukraine geleistet haben, freiwillig zum Einsatz. Was verteidigen sie? Freiheit, eine Idee, ihre Stadt, ihre Freunde, ihr Land, ihr Leben? Welche Unterstützung kann ich mittragen?

(…) Ja, ich bin in vielem hier sehr verwirrt. Das ist etwas vom wenigen klaren. Gleichzeitig weiss ich, dass es richtig ist hier zu sein. Ich für mich, aber auch wir als Longo maï. Die Hilfe für Geflüchtete vor Ort und in anderen Teilen der Ukraine ist enorm wichtig und es ist unglaublich, was hier vor Ort geleistet wird.
Ich erlebe sehr intensive Momente mit allen hier vor Ort. Schwierige und auch schöne. Von Schwarz bis Weiss. Gewissheiten sind weg und es ist richtig, was wir tun.»

Mathias, 14. März:
«(…) Es ist für mich einfach schwer zu glauben, dass dieser Krieg hier wirklich stattfindet mit all seinen scheusslichen Seiten.

(…) Leute die sonst Jazzmusik machen oder Filme drehen, sitzen jetzt hier am Waldrand, müssen aus der Ferne Fotos ihrer zerstörten Häuser ansehen, bekommen Nachrichten von Freunden aus Städten, die täglich bombardiert werden, und müssen trotzdem einen Alltag mit ihren Kindern meistern.

(…) Immer wieder kommen Hilfslieferungen aus Rumänien an, die wir entweder nach Hust in eine Lagerhalle bringen. Von dort werden sie in Minibussen Richtung Kyiv oder Charkiv gebracht, die dann auf dem Rückweg Leute evakuieren. Es gibt ein paar Stützpunkte in der Westukraine, an denen die Evakuierten zwischendurch versorgt werden, bevor sie nach Nishne kommen. Die Entfernungen sind gross und die Reisen dauern dreimal so lang wie bei uns. Immer mehr sichere Orte werden unsicher. Die Medikamente gehen z. T. ins Krankenhaus Hust und z.T. auch in den Osten des Landes, bis Luhansk, solange es noch geht.

In Nischnje Selischtsche kommen immer mehr Geflüchtete an und es wird bald eng mit den Unterkünften. Viele wollen nach ein paar Tagen weiter Richtung Westen. Viele haben aber auch überhaupt keinen Plan, waren noch nie im Ausland, sprechen keine anderen Sprachen oder haben keine vollständigen Papiere. Im Restaurant wird 2mal täglich für sie gekocht. Die Gesichter derer, die dort essen, sprechen von Müdigkeit, Ratlosigkeit und Verzweiflung. Menschen die komplett aus der Bahn geworfen wurden.

(…) An den Strassen tauchen grosse Plakate auf: «Russische Panzer – verpisst Euch!». An Kreuzungen und Brücken entstehen Stapel von Sandsäcken, an den Trafostationen steht Militär in Kampfmontur, seit gestern steht am Kreisverkehr in Hust ein Tieflader voll mit lokal produzierten Panzersperren. Über meine ukrainische SIM-Karte bekomme ich Verhaltensregeln für Luftalarm und tatsächlich gab es letzte Nacht den ersten Luftalarm per Handy in der Region. In Ivano-Frankivsk gab es Explosionen und am Rand von Lviv wurden 35 Menschen getötet bei einem Luftangriff auf ein Militärgelände.(…) »

Tudor, 11. März:
«Am letzten Februartag standen wir in Siret an der Grenze zur Ukraine und warteten in der Kälte vor dem Tor des Flüchtlingszentrums. Ich war wütend darüber, dass Ukrainer ohne Pass stundenlang aufgehalten wurden, ohne dass man ihnen klare Informationen gab. Aber das Telefon klingelte weiter.

Freunde von Freunden in der Ukraine baten mich immer wieder um einen Generator oder externe Batterien sowie um Decken und Matratzen. Wiederholte Anrufe berichteten mir von Notfällen in einem ukrainischen Dorf, das über Nacht zu einem Flüchtlingslager geworden war. Ohne Papier und Bleistift versuchte ich verzweifelt, mir zu merken, was von mir verlangt wurde. Nach einigem Drängen bekam ich schließlich eine Liste: Sie brauchten Stromgeneratoren, Schlafsäcke und dicke Kleidung, aber auch Lebensmittel.

(…)Ich begann, Kollegen von anderen NGOs anzurufen, um herauszufinden, welche Unterlagen erforderlich waren und wie die Chancen standen, auch auf der westlichen Seite einen neuen Korridor zu eröffnen. Ganz in der Nähe erreichte ich das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. So habe ich verstanden, dass wir keine Zeit haben, auf einen neuen grünen Korridor zu warten. Es hätte Tage dauern können, aber wir hatten nur Stunden Zeit.

(…) Inspiriert wurden wir von unserer Freundin Gabi aus Hosman, die seit Beginn des Krieges ihr Auto mit allem, was sie zu Hause hatte, gefüllt hatte und zur Grenze eilte. Allein fuhr sie stundenlang und überquerte die Grenze in ein Land, das sich im Krieg befand. Und sie tat ihr Bestes, um ihren Freunden in der Kooperative Longo Maï zu helfen. Wenn Gabi allein ihnen helfen konnte, war ich überzeugt, dass wir es trotz aller Schwierigkeiten schaffen würden.

(…) Das Declic-Team wurde zu einem Minikommando, aber nicht zu einem Kriegskommando, sondern zu einem Friedenskommando. Wir haben unzählige Anrufe getätigt, und viele wunderbare Menschen kamen uns zu Hilfe. Das Team von Hosman Durabil, einer Gemeinschaftsorganisation in einem schönen und ruhigen Dorf im Kreis Sibiu, wurde zum Mittelpunkt der Aktion. Marie hielt uns mit den Listen der benötigten Produkte auf dem Laufenden, und Gabi erzählte uns vor Ort in der Ukraine immer wieder, was ihre Freunde organisierten. Das SNK (Seneca)-Team sowie die Kollegen des Declic-Teams verwandelten sich fast sofort in ein Einkaufsbüro. Wir kauften neue Produkte und so viel Qualität wie möglich, von Piloten über Dosen bis hin zu Luftmatratzen. Wir holten Angebote ein, verglichen sie und gaben feste Bestellungen auf. Als die Declic-Mitglieder weiter spendeten, begannen wir, die Rechnungen zu bezahlen. Weiter und weiter. Tausende und Abertausende wurden zu Paletten mit Generatoren, Benzinkanistern, nicht verderblichen Lebensmitteln und dicken Decken.

(…) Es war Dienstagmorgen und wir fuhren mit unserem Minikonvoi von drei Lastwagen los. An der Windschutzscheibe verriet nur ein kleines Schild mit der Aufschrift „Humanitarian Transport – Гуманітарна допомога“ die Ladung. Bevor wir uns auf den Weg machten, sagten wir nicht öffentlich, dass wir nach Hust in der Ukraine fahren würden. Wir fürchteten um die Sicherheit des Transports und der Fahrer, da wir nicht wussten, was jenseits der Grenze passierte.

Beim Zoll verlief dank der vorherigen Kommunikation mit den staatlichen Behörden alles reibungslos. Shaun, ein nach Rumänien gezogener Amerikaner, der Ukrainisch spricht und Lăutari-Musik spielt, kam uns zu Hilfe. Er übersetzte für die ukrainischen Zollbeamten, begleitete die Lastwagen und führte uns nach Hust. Ich kann es kaum erwarten, ihn als Jean Americanu‘ wieder auf der Bühne zu sehen.

Und schon sind wir in Hust, in den engen, überfüllten Straßen. Wir luden alles in einer alten, aber kürzlich renovierten Halle ab. Alles wurde kontrolliert und sortiert, und ein Teil der Waren wurde direkt in Kleinbusse verladen und zu Turnhallen, Schulen und Kindergärten gebracht, die zu Wohnheimen umgebaut wurden.

Am Abend kehrten die Lastwagen und Shaun nach Rumänien zurück. Ich werde nie in der Lage sein, den Fahrern vollständig zu danken, wunderbaren Menschen, bei denen der Wunsch zu helfen über jeder Angst stand.

Roxana und ich blieben den Abend über in der Ukraine, bei Freunden. Sie wollten uns nicht gehen lassen, sie wollten, dass wir die Menschen, die sie beherbergten, kennenlernen und uns die Wege zeigen, über die Lebensmittel und andere Güter in die zerbombten Städte gelangen würden. Sie wollten, dass wir diejenigen kennenlernen, die ihr Leben riskieren, um die gesammelten Vorräte zu transportieren.»

(Tudors kompletter Bericht ist auf Rumänisch hier abrufbar: www.declic.ro/au-ajuns-in-hust-ucraina/. Er wurde am 11.3. an über 1,6 Millionen Empfänger*innen verschickt.)